Rückläufigkeiten
 

(9,1,7) heißt es:

Mercurii autem Veneris stellae circa solis radios uti per centrum eum itineribus coronantes regressus retrorsus et retardationes faciunt, etiam stationibus [in den Absiden: s.w.u.] propter eam circinationem morantur in spatiis signorum. 
Es folgt das, was Chalcidius später ebenfalls aufnimmt: 
Id autem ita esse maxime cognoscitur ex Veneris stella, quod ea, cum solem sequatur, post occasum eius apparens in caelo clarissimique lucens vesperugo vocabitur, aliis autem temporibus eum antecurrens et oriens ante lucem lucifer appellatur. Ex quoque nonumquam plures dies in [uno] signo commorantur, alias celerius ingrediuntur in alterum signum. 
Vitruv  hat von seinen Lehrern die Planetenfolge 
Mond-Merkur-Venus-Sonne-Mars-Jupiter-Saturn 
kennengelernt. (9,1,5)
 
Interessant ist auch, daß schon damals beobachtet wurde, daß die Stationaritäten der Venus einem achtjährigen Zyklus unterliegen (z.B.):

Für den Mars sieht eine seiner "Rückläufigkeiten" wie folgt aus:



Timaios
Es heißt dort: 
Der Weisheit und solcher Absicht Gottes bei Erzeugung der Zeit zufolge entstanden nun, damit die Zeit entstehe, Sonne und Mond und fünf andere Sterne, die den Namen Planeten führen, zur Begrenzung und zur Feststellung der die Zeit bezeichnenden Zahlen; nachdem aber der Gott für jeden von ihnen Körper gestaltet hatte, wies er den sieben die sieben Bahnen an, in welchen sich der Kreislauf des Verschiedenen [gemeint ist die Ekliptik] bewegt, dem Monde die nächste um die Erde, der Sonne die zweite über der Erde, dem Morgensterne [der Venus] aber und dem seinem Namen nach Hermes geweihten [Merkur] an Schnelligkeit dem der Sonne gleiche Kreise, doch eine dieser entgegengesetzte Kraft besitzende, so daß die Sonne und der Planet des Hermes und der Morgenstern einander überholen und voneinander überholt werden.
B.L. van der Waerden interpretiert in 38c die 2.Bahn als Epizykel - nicht als Deferens - der Sonne.  Er übersieht aber - meiner Meinung nach - , daß es nur wenige Zeilen weiter (39b) heißt, 
 
daß von Gott in dem von der Erde aus zweiten der Kreisumläufe ein Licht [entzündet worden ist], welches wir eben Sonne nannten, damit es möglichst dem gesamten Himmel leuchte ...
Die Epizyklentheorie im platonischen Staat 616d bleibt davon unberührt. Meine Interpretation findet sich auch bei Cicero.


Absiden
Absiden (Apsiden) sind Hauptstern-fernste oder Hauptstern-nächste Bahnpunkte eines Trabantengestirns. Hier ist also von den Sonnen-Absiden der Gestirne Venus und Merkur die Rede, wo sich der (scheinbare) Lauf der Gestirne auf der Ekliptik umkehrt. Dies kann in Schleifen oder bei Schlingen der (scheinbare) Fall sein.


Kommentar
Auf die Umläufe in der Himmelsäquatorebene ("dem Kreise des Selben" - auch "Gleichen" genannt, weil er - der Äquator - die Erde / den Himmel in zwei "gleiche" Hälften einteilt) bezugnehmend, heißt es 38d: 
Demungeachtet [die Mannigfaltigkeit der Planetenumläufe bleiben vielen unbegriffen] läßt es nichtsdestoweniger sich begreifen, daß die vollkommene Zeitenzahl das vollkommene Jahr [das "große Jahr" der indischen Astronomie] dann abschließt, wenn die gegeneinander abgelaufene Schnelligkeit der sämtlichen acht Umläufe, abgemessen nach dem Kreise des Selben [des Himmelsäquators] und des gleichmäßigen Fortschreitens,  ihre Ausgangspunkte erreicht. [D.h. wenn alle Planeten wieder an denselben Ort zurückgekehrt sind.] Demnach und aus diesen Gründen wurden diejenigen Sterne erzeugt, welche auf ihrer Bahn durch den Himmel ihre Wendepunkte haben, damit dieses Weltganze dem vollkommenen und denkbaren Lebenden, dessen unvergängliches Wesen nachbildend, so ähnlich wie möglich werde.
Eine Stelle, die Cicero zitiert.
gemeinsamen Mittelpunkt
 
Sonne, Venus und Merkur haben hier (a) ein gemeinsames Deferenzzentrum: terra, und (b) ein gemeinsames Epizykelzentrum.

Der gemeinsame Deferenzkreis ist der zweite nach dem des Mondes.



Jamblichos
Jamblichos ist vor dem Jahre 333 n.Chr. gestorben. Er widmete sich vorzüglich der platonischen Philosophie. Kaiser Julianus sagte von ihm, daß er dem Plato nur in Ansehung der Zeit, nicht aber in Gelehrsamkeit nachstünde. Er verband mit "der Sekte der Platoniker" die Lehren anderer Philosophen, vornehmlich der Pythagoräer, der Ägypter und der Chaldäer. Sein Ansehen wurde durch den Ruf der Heiligkeit und der Wunderkraft vergrößert. In seiner Schule kam der Begriff der "heiligen Philosophie des Pythagoras" auf. Er schrieb 10 Bücher über Pythagoras; eines davon hieß  theologumena arithmeticae, Theologische Lehrsätze der Arithmetik [des Pythagoras], im Druck erschienen: Paris 1543


Epizykelthese
Unglücklicherweise wurden die Figuren in den meisten Manuskripten fehlerhaft (ab)gezeichnet Daher sind sie dann auch fehlerhaft in die späteren Drucke übergegangen; hier z.B. in die Ausgabe des Augustinus Justinianus von 1520 bei J.Bad.Ascensius in Paris (fol.).
Die Fehlerhaftigkeit der Figuren des Chalcidius erörtert van der Waerden: Astronomie 64ff, 112ff, sehr ausführlich. Ich habe sie an den Figuren der Krakauer Ausgabe kontrolliert (Wrobel 1876). Vgl. die folgende Anmerkung.


Herakleides von Pontos
Kommentar Kapitel 110
Denique Heraclides Ponticus, cum circulum Luciferi describeret, item solis, et unum punctum atque unam medietatem duobus daret circulis, 
 

demonstravit ut interdum Lucifer superior, interdum inferior sole fiat.Ait enim et solem et lunam et Luciferum et omnes planetas, ubi eorum quisque sit, una linea a puncto terrae per punctum stellae exeunte demonstrari. Erit ergo una linea directa ex terrae medietate solem demonstrans, duae vero aliae dextra laevaque nihilo minus directae lineae a sole quidem distantes quinquaginta momentis, a se autem invicem centum. quarum altera linea orienti proxima demonstrat Luciferum, cum Lucifer plurimum a sole distabit factus vicinus orientalibus plagis, 
propteraque idem Hesperi nomen accipiens, quod in eois vespere postque occasum solis adpareat. altera vero occidenti proxima, cum plurimum distabit idem Lucifer a sole factus vicinus occiduis, proptereaque Lucifer nominatur. Etenim perspicuum est Hesperum quidem dici tunc, cum in partibus orientis videtur sequens solis occasum, Luciferum vero, cum ante solem mergitur et rursus exacta propemodum nocte oritur ante solem.
 

Für die beobachtbare Neigung der  beiden Gestirne, einmal "vor" und  einmal "hinter" der Sonne, einmal "über" und einmal "unter" der Sonne "vorzukommen",  hatte die Epizykeltheorie des Ptolemäus längst "Erklärungen" gefunden:

Chalcidius
B.L. van der Waerden interpretiert die vorliegenden Texte zum Timaios so, daß er glaubt, Herakleides von Pontos als den Autor des Systems der Gesetze reklamieren zu können. Vgl. Astronomie 105-120.
Dann allerdings würden die Gesetze keine lineare Ordnung der Umherirrenden mehr rechtfertigen, und die Plato / den Platonikern zugeschriebene Ordnung 
Erde-Mond-Sonne-Venus-Merkur-Mars-Jupiter-Saturn
könnte - später: von Macrobius z.B. - nicht mehr vertreten werden. 
Im Timäus heißt es ja ausdrücklich:
Denn das Urbild ist ein durch alle Ewigkeit Seiendes, sie aber immerfort durch alle Zeit geworden, seiend und sein werdend. Zufolge solcher Betrachtung und Überlegung Gottes in bezug auf die Zeit entstanden, damit dieselbe hervorgebracht werde, Sonne, Mond und die fünf anderen Sterne, welche den Namen der Wandelsterne tragen, zur Unterscheidung und Bewahrung der Zeitmaße. Und nachdem Gott den Körper eines jeden von ihnen gebildet hatte, setzte er sie ihrer sieben in die sieben Kreise hinein, welche der Umlauf des anderen beschrieb, den Mond in den, welcher zunächst um die Erde kreiste, die Sonne in den zweiten oberhalb ihrer, den Morgenstern aber und den, welcher dem Merkur heilig ist und nach ihm genannt wird, in die zwei nächsten, dem der Sonne an Geschwindigkeit gleichen Kreise, versah sie jedoch mit einer der Sonne entgegenstrebenden Kraft der Bewegung, weshalb denn die Sonne und der Merkur und Morgenstern auf gleiche Weise einander einholen und voneinander eingeholt werden. [Die übrigen (Mars, Jupiter, Saturn) hier anzuführen, hält Plato für "beiläufig".]


Somnium Scipionis
Beim Traum des Scipio handelt es sich um ein Fragment aus dem sechsten Buch de re publica, das von Macrobius überliefert worden ist.


Kommentar in Somnium
Macrobius: Buch 1,19. Gerhard Mercator kannte offenbar das ciceronische Werk: Vergleiche den Kommentar des Georg Valla zum Astrologie-Werk des Ptolemäus,  Katalog S.39. Darüberhinaus ist es außerordentlich wahrscheinlich,daß er 1530-1532 Vorlesungen über Cicero gehört hat: Noch 1568 wurden in seinem Studenten-Stift Castri derartige Vorlesungen im Fache Rhetorik abgehalten.
Cicero läßt Scipio - ähnlich wie Balbus in de natura deorum - an der betreffenden Stelle davon sprechen, daß gemäß der Chaldaeorum ratio - ohne diese explizit zu erwähnen - Venus und Merkur als Begleiter der Sonne anhängen: hunc et comites cosequuntur alter veneris alter  mercurij cursus.


Astronomie der Ägypter
Wir müssen hier - nach wie vor - zwei Dinge unterscheiden: 
(1) die Väter aller philosophischen Disziplinen = "die alten Ägypter" haben den Griechen - hier: Plato - die alt-ägyptische Folge der Planeten überzeugend dargestellt: Plato Aegyptos omnium philosophiae disciplinarum parentes secutus est, qui ita solem inter lunam et Mercurium locatum volunt (19,2): Mond-Sonne-Merkur. 
(2) Das "Miteinander" von Sonne, Merkur und Venus hat viele Astronomen verwirrt, nicht jedoch die Ägypter, deren Erfindungsgabe eine Erklärung fand: Horum vero trium sibi proximorum, Venerisque Mercurii et solis, ordinem vicina confundit, se apud alios; nam Aeqyptiorum sollertiam ratio non fugit, quae talis est.


vorkommend
Circulus per quem sol discurrit a Mercurii circulo ut inferior ambitur, illum quoque superior circulus Veneris includit, atque ita fit ut hae duae stellae cum per superiores circulorum suorum vertices currunt, intellegantur supra solem locatae, cum vero per inferiora commeant circulorum, sol eis superior aestimetur. 
Kommentar 1,19,6.


WiderspruchA
Vielleicht hat Macrobius im Timaios-Kommentar des Chalcidius die geometrische Lösung dieses Konflikts gefunden, aber aus der astronomischen Undeutlichkeit des Textes darauf zu schließen, Macrobius habe die Epizyklentheorie des Herakleides verstanden, geht wohl zu weit: 
  • So richtig haben die Alten überhaupt - Macrobius eingeschlossen - nicht verstanden, daß die Aegyptiorum ratio - also die älteste Hypothese über die Sonnenzentrik von Merkur und Venus - die lineare Anordnung der Planetenreihe  auflöst. Selbst Ptolemäus hatte da seine Schwierigkeiten (Almagest 9,1).
  • Das Gebunden-sein von Merkur und Venus drückt sich bei Ptolemäus allein dadurch aus, daß die Epizykelmittelpunkte von Sonne, Venus und Merkur mit dem Weltzentrum terra auf einer "gemeinsamen" Gerade liegen.
WiderspruchB
Die angestrebte "Auflösung" ist überdies mit einer fehlerhaften astronomischen Aussage verknüpft: 
Wenn die beiden Planeten sich in der Nähe der "oberen" Konjunktion mit der Sonne befinden, sind sie weniger sichtbar - durchaus korrekt: sie sind viel weiter von uns entfernt - , aber nicht weil  (Macrobius:) sie in der oberen Stellung mehr durch die Sonnenstrahlen verdeckt werden, nam cum superiora tenent magis radiis occuluntur. Vgl. Stahl, Appendix A.
Das Gebunden-sein der beiden Sonnentrabanten ist auch hier in der Gemeinsamkeit der ihre Epizykelmittelpunkte verbindenden Geraden zu sehen.
WiderspruchC
Mit einer nicht-platonischen Sicht kann und will er aber nichts anfangen (vgl.auch 1,21,24-27), und im folgenden Satz klingt seine Enttäuschung an, daß die nach seiner Meinung "falsche Ordnung" allmählich allgemeine Überzeugung geworden ist: 
et ideo persuasio [?Ptolemäus] ista convaluit, et ab omnibus paene hic ordo [Mond-Merkur-Venus-Sonne: die chaldäische Ordnung] in usum receptus est.
.
Ptolemäus brachte "gute" Gründe für seine Reihenfolge ins Spiel: Wer sich an den Umlaufzeiten der Umherirrenden - insbesondere also an die von Merkur und Venus - orientiert - so sein Argument, der kann nur meine Reihenfolge wählen:
.
Die siderischen Umlaufzeit in mittleren Sonnentagen beträgt
für den Merkur :   87.97 d
für die Venus    : 224.70 d
Und er bestimmte damit die Astronomie der nächsten 1500 Jahre.
.
Die "wahre Lehre" aber ist für Macrobius die platonische, wie der Augenschein und eine (fehlerhafte) Argumentation  zur Lehre vom Licht des Mondes zeigen: 
Perspicacior tamen observatio veriorem ordinem deprehendit ...
Nur wenn die platonisch-ägyptische Folge die "wahre" Folge ist, ist das Licht von Venus und Merkur mit dem von der Sonne geborgten Licht des Mondes nicht in Eins zu setzen / vergleichbar: denn alle Sterne "oberhalb" der Sonne baden sich im reinen Äther und haben infolgedessen ihr eigenes Licht, 
haec enim ratio facit lunam non habere lumen proprium, ceteras omnes stellas lucere suo, quod illae supra solem locatae in ipso purissimo aethere sunt, in quo omne quicquid est, lux naturalis et sua est (19,9) ... 
Die bei Macrobius nicht beantwortete Frage bleibt:
Ist der Schein vom zeitweiligen "oberhalb" | "unterhalb" der beiden Sonnentrabanten wie bei Ptolemäus durch die "Schieflage" beider Bahnen in Bezug auf den Kreis des Verschiedenen, der Ekliptik, auf dem | auf der die Sonne umläuft, aufzulösen?

Für die Bahnneigungen von Venus und Merkur gelten heute die folgenden Größenangaben: Venus/Erde: 3.4°, Merkur/Erde: 7.0°; - Ptolemäus hatte sexagesimal 2;30° bzw. 6;15°.



Freie Künste

Über ihren Inhalt und ihre Funktion - Gerhard Mercator betreffend - siehe die Abhandlung  ?magister artium (CD).



angesprochene Stelle
 
Nur wenig später skizziert Copernicus "seinen" typus:

Karl Schmitz-Moormann orientiert sich in seinem Vortrag Mercator und die Entwicklung der Exegese im sechzehnten Jahrhundert, Mercator-Studien 3, 214, 219.3, am fehlerhaften typus bei Averdunk und glaubt - wie Averdunk-Müller - , daß Gerhard Mercator von Tycho Brahe das "bi-zentrische Weltbild" übernommen habe. Aber selbst ein Hinweis auf eine neuere Biographie Brahes hilft hier nicht voran; vgl. Thoren, Brahe 239-241.



verwechselt
Von dieser Stelle sagt van der Waerden barsch:  So, wie das da steht, ist es natürlich Unsinn. Man müßte es etwa so berichtigen: 'Die maximale Entfernung des Merkur von der Sonne in irgendeiner Sichtbarkeitsperiode als Abendstern oder Morgenstern  kann nie weniger als 20° betragen.' Das wäre eine richtige Aussage im Rahmen der primitiven Epizykeltheorie.Astronomie  68, allerdings 881, nicht 880.
In 880 heißt es: Sed idem Stilbon, licet Solem ex diversis circulis comitetur, ab eo tamen numquam ultra XXII partes poterit aberrare:  wenn die wahre Sonne von der mittleren um maximal 2° auf der anderen Seite abweicht, so liegt Capella mit 22° durchaus richtig.

Wilhelm von Conches
Im Mittelalter wurde die Aegyptiorum ratio nicht durchgehend erörtert: Ernst Zinner, Entstehung und Ausbreitung der copernikanischen Lehre, 2.A., 1988, 80, schreibt: Petrus de Abano wiederholte um 1310 Gedanken aus Macrobius. Dagegen wurde in der 2.Hälfte des 14. Jahrhunderts die Umkreisung der Sonne noch einmal erörtert und [zwar] anscheinend in den wissenschaftlichen Kreisen zu Paris.