faustgroßen Globus
Bei Walter Ghim heißt es in der VITA, dieser kleine Globus sei von der Größe eines Balles gewesen, mit dem die Knaben im Kreise spielen. 


Abreise
Offenbar spricht Gerhard Mercator das Jahr 1546 an. Von diesem Zeitpunkt an hatte sich Karl V. fortwährend nicht in den Niederlanden sondern bis 1553 im "deutschen" Raum aufgehalten. 

Janellus
Ich beziehe mich im folgenden auf Ernst von Bassermann-Jordan: Kaiser Karl V. und sein letzter Uhrmacher, Uhrmacher-Woche Nr.40, Leipzig 1924; Nachdruck in Alte Uhren und ihre Meister, Leipzig 1926, 55-65, Gerald Whitrow, Time in History, 1988, und S.A.Bedini/F.R.Maddison, Mechanical universe, Trans. Amer. Phil. Soc., 56 (1966), Part 5.
Unser Kunstmeister findet danach zum ersten Mal Erwähnung in der Arbeit De subtilitate des Hieronymus Cardanus, Paris 1550. Cardanus handelt S.267f. von Räderuhren ohne Gewichte, und nach der Besprechung von schwingungsdämpfenden Vorrichtungen für einen Reisewagen des Kaisers kommt er auf unseren Janellus zu sprechen: Ianellus Turrianus Cremonensis, cuius etiam supra meminimus, horum inventor est, Giovanni Torriani (Ianellus Turrianus) aus Cremona, von dem schon weiter oben die Rede war (dessen wir schon weiter oben gedachten), ist deren Erfinder.

Von Janellus - bleiben wir bei Gerhard Mercators Zitat - ist auch in Las Antiguedades de las ciudades de España, die Altertümer der Städte Spaniens, von Ambrosio de Morales, Alcalá 1575, S.91ff., die Rede.

Vgl. HOMMEL.

Nach dem Tode Karls V. ist Janellus nach Toledo gezogen, hat dort u.a. das gleich zu erwähnende Wasserhebewerk gebaut. Die Toledaner haben ihrem großen Kunst-Meister schon zu Lebzeiten ein Denkmal in der Gestalt einer Marmorbüste von Alonso Berruguete (1480-1561)  gesetzt. Janellus scheint 1583 oder 1585 als Mittsechziger in Madrid gestorben zu sein.
Jacopo Nizzola da Trezzo hat - offenbar nach 1558, da Janellus sein Wasserhebewerk in Toledo gebaut hatte - eine Medaille mit dem Bildnis des Kunstmeisters geschaffen. Die Umschrift gleicht der Inschrift der Büste des Berruguete. (Ein Exemplar der Medaille befindet sich in der Privatsammlung Bassermann-Jordan.)



die äußere Erscheinung
Nachdem Ambrosio de Morales das große Wasserhebewerk des Janellus in Toledo besprochen hat, kommt er auf die große Uhr des Kaisers mit dem Planetarium zu sprechen, zu der "Juanelo" - wie er von den Spanier genannt wurde - zwanzig Jahre Vorarbeit benötigt hätte. Nach eigenem Bekunden habe Janellus drei und einhalb Jahre zur Ausführung benötigt, aber dennoch scheint sie beim Tode Kaiser Karls V. (21. September 1558) noch nicht fertig gewesen zu sein. Morales berichtet weiter, daß das (?zylindrische) Gehäuse einen Durchmesser von zwei Fuß besessen habe und  etwas weniger als zwei Fuß hoch gewesen sei; ein Turm mit Schlagglocken und Wecker habe das ganze überragt. 

Leider ist von unseren Doppelglobus nicht die Rede, wohl aber davon, daß z.B. die Darstellung der Mondstunden besondere technische Schwierigkeiten gemacht habe. Die Durchbrüche im Gehäuse hätten da und dort Einblicke auf das Räderwerk gestattet, das aus - ?inzwischen - 1800 [!] Zahnrädern insgesamt bestanden haben soll - eine erstaunliche Zahl, die Morales zu der ihn verblüffenden Rechnung veranlaßt: dann habe Janellus ja Tag für Tag drei Zahnräder auf der von ihm selbst erfundenen Radschneidemaschine schneiden müssen - die zahlreichen (spanischen) Feiertage einmal abgerechnet.



einzufügen
Während Walter Ghim in der VITA davon spricht, daß Gerhard Mercator zwei Globen anzufertigen gehabt habe: einen hölzernen Erd- und einen kristallenen Himmelsglobus, glaubt Peter H.Meurer in seiner Abhandlung Ein Mercator-Brief an Philipp Melanchton über seine Globuslieferung an Kaiser Karl V. im Jahre 1554, Der Globusfreund Nr.45/46 (Februar 1998), 187-196, dartun zu können, Gerhard Mercator habe "nur einen kleinen handgezeichneten Globus von etwa 10 cm Durchmesser angefertigt" (190). 

Danach hätte Karl V. "Meister Gerhard" allein mit der Anfertigung des faustgroßen Erdglobus und den "mathematischen Gerätschaften" beauftragt mit Widerspruch einerseits zum VITA-Text und andererseits auch zu Gerhard Mercators eigenen Erklärungen in seiner Handreichung für den Kaiser, der declaratio.
 

    Ich nehme nun nach weiteren Erkundungen an - vgl. den Artikel HOMMEL - , daß es zwei kaiserliche Aufträge für Gerhard Mercator gegeben hat: 
  1. Schelhorn berichtet - und bezieht sich dabei auf von Walter Ghim abhängigen zeitgenössischen Darstellungen - , daß Kaiser Karl nach der Zerstörung der  mathematischen Instrumente im kaiserlichen Lager bei Ingolstadt (im August 1546) sogleich (alsdann: deinde) befahl, Gerhard Mercator möge ihm neue Instrumente herstellen (erster Auftrag: 1546).
  2. Schelhorn berichtet ebenso vertrauenswürdig, daß schon damals (bei Ingolstadt) der Kunstmeister Janellus (Turrianus Cremonensis) zum Hofstaat des Kaisers gehörte. Ich vermute daher, daß Janellus sich spätestens in Innsbruck von Karl getrennt hat, um im Auftrag Karls nach Mailand zu reisen, seine dort in Arbeit befindliche Planetenuhr nach Brüssel zu bringen, wo sich Janellus und Mercator dann in der Audienz getroffen haben. 

  3. Da Janellus seine Planetenuhr "aus Mailand" holte, dem Kaiser aber - der die voraussichtliche Gestalt des Kunstwerkes seit Pavia 1529 aus den damaligen Unterhaltungen mit Janellus gewiß kannte - an dem Kunstwerk des Janellus / Giovanni de' Dondi noch etwas zu fehlen schien: nämlich der im wahrsten Sinne des Wortes krönende Abschluß, ließ er - unterwegs nach Brüssel - Gerhard Mercator den (zweiten) Auftrag (1552-1553) zukommen, die "Krönung" der Janellus-Konstruktion in der Gestalt des Zwei-Globen-Systems vorzubereiten.
     
      Ob allerdings die Kunstfigur Gerhard Mercators sich für die Janellus-Uhr überhaupt eignete, daß mag nach den (restruktiven) Erkenntnissen über sie mit Fug bezweifelt werden. Davon weiter unten.

Die Skizze aus dem Jahre 1461 zeigt einen Teil des astrariums von de' Dondi.
Das Museum of the Smithsonian Institut, Washington, DC, besitzt einen Nachbau.

Daß Gerhard Mercator in der Lage gewesen ist, das Sytem beider Globen als Ganzes fertigen zu können, zeigt die Tatsache, daß er seit seiner Löwener Zeit immer wieder Armillarsphären hergestellt hat (leider ist - bis heute - keine auf uns gekommen). 

Die Tatsache, daß Gerhard Mercator für den "unbesiegbarsten Römischen Kaiser Karl V." eine Handanweisung zum Gebrauch seines Doppel-Globus - der Kombination eines kleiner Erd- wie des ihn umschließenden Himmelsglobus - und seines Annulus Astronomicus angefertigt hat, zeigt, daß a) dem Kaiser die Globen-Künste Mercators bekannt gewesen sind und b), daß sich unter den "mathematischen Gerätschaften" auch ein Annulus befunden hat.
 

Darüberhinaus schließt die Formulierung Mercators, daß der kleine Erdglobus einem betreffenden Himmelsglobus "einzufügen war", keineswegs aus, daß der Kristallglobus - und damit das System als Ganzes - in Duisburg hergestellt worden ist. In einem Fuß=Ständer befanden sich des weiteren ein Bleilot und ein kleiner Kompaß: 

  • Offenbar hatte Gerhard Mercator bis zur Audienz beim Kaiser keine Ahnung davon, daß sein Werk das Kunstwerk des Janellus zieren sollte - wie er Melanchton berichtet..
Im 2. declaratio-Kapitel erläutert Gerhard Mercator, wie man auf der nördlichen Erdhälfte aus betreffenden magnetischen Mißweisungen in duobus locis - an zwei verschiedenen Orten - und deren Längenunterschied die Lage des magnetischen (Süd-)Pols bestimmen kann. 
Aus den damals bekannten Mißweisungen
  • bezüglich Corvo : 0° N
  • bezüglich Löwen : 9° 59' O 
  • und der Lage Löwens 
  • es liegt in 50°54' nördlicher Breite und hat bezüglich Corvo den Längenunterschied von 36° 31' 
  • schloß er auf die Breite des Pols in 
  • 73° (ungefähr) 2' N
  • Aus all dem stelle ich folgendes zusammen - schreibt er weiter - : Die Längendifferenz zwischen Löwen und dem magnetischen Pol beträgt 143° 29' O, und da Löwen die Länge 26° 5' O besitzt, wird der magnetische Pol die Länge 169° 34' O haben.
    In dieser gerade aufgefundenen Breite bzw. Länge habe ich den den magnetischen Pol  auf dem sternetragenden Globus eingetragen. Von ihm - dem magnetischen Pol - kann - ?leider - kein den Zwecken angemessener Gebrauch mittels des Erdglobus gemacht werden, da die Himmelskugel ihn umschließt.
    • In hac iam inventa longitudine et latitudine, signavi polum magnetis in globo astrifero, eo quod in terrestri non daretur commodus usus huius poli propter circumpositam sphaeram. 
    Auch J. Milz zeigt sich nunmehr davon überzeugt, daß Gerhard Mercator beide Globen als System hergestellt hat, denn am Ende des Declaratio-Kapitels Inquisitio longitudinis ac latitudinis poli magnetis, Untersuchung über die Längen- und Breitenangabe [also über die Lage] des magnetischen Pols, habe er die oben angeführte Stelle gefunden:
    Auf diese Stelle hatte schon Van Raemdonck 1868 aufmerksam gemacht: Mit Bezug auf die Länge und Breite von Löwen hatte Gerhard Mercator - damals - gewiß auch bis zu seinem Lebensende - unter der Hypothese, daß die Isogonen 
    "Iso-Linien" sind Kurven, die in einem Richtungsfeld Punkte gleicher Richtung verbinden. Die Isolinien gleicher magnetischer Abweichung heißen "Isogonen".
    Großkreise seien - die Länge des Magnetischen Pols zu 169°34' relativ zur Corvo-Länge = 0°, seine Breite zu 73° 2' (nahezu=proxime) N bestimmt.
     

    Eine Rekonstruktion dieses Systems [1996] führt zu dem vorstehenden Resultat, das sämtliche textbestimmten Stücke des Doppelsystems enthält, u.a. 

      • ist zwischen beiden Globen der "innere" Meridianring anzubringen
      • im Ständer sind 
        • sowohl ein Lot 
          als auch ein Kompaß einzuarbeiten
      • ein sphärischer Gnomon à la Gemma Frisius muß zur Ausführung einiger Aufgaben am Himmelsglobus zur Verfügung stehen
    Die Declaratio textet im Kapitel Operatio globi per solem u.a. wie folgt: 
    • Horizon applicatur horizonti per pendiculum quod in pede est ...

    • Der Horizont - durch den Horizontring dargestellt -  wird durch ein Pendel, das sich im Fuß befindet, festgelegt ..
    • Meridianus applicatur meridiano per acum quae in pede est ...
    • Der Meridian - durch den Meridianring dargestellt - wird [bei bekannter Mißweisung] durch die Magnetnadel im Fuß festgestellt ....
    • debet primum annulus ille qui sub vitro est ...

    • erforderlich ist (auch) der Erste Ring [ein Meridianring], der sich im Inneren der Kristallkugel befindet ...
    Ohne Fuß (pes) - also ohne Lot und Magnetnadel - hätte sich der Doppelglobus vielleicht zur Krönung der Janellus-Uhr als tauglich erwiesen, aber mit ihm und in seiner Funktionalität gemäß der declaratio wohl kaum. Das ist vielleicht auch der Grund dafür, daß und warum wir in der Geschichte der Janellus-Uhr nichts mehr von unserem Doppelglobus hören.
    Über eine Rekonstruktion Jan van Raemdoncks siehe Watelet Fragmenten van de Mercator-Historiographie 389.

    Über den Annulus Astronomicus...  werde ich später in einem Rekonstruktionsversuch sprechen.
    siebenhundert Zahnräder
    Leider ist alles, wovon Mercator hier spricht, verlorengegangen: 
    • Bis in die letzten Jahre vermutete man, daß die Planetenuhr des Janellus beim Brand des Klosters San Gerónimo deYuste in der Estremadura verlorengegangen sei. Nach Yuste hatte sich Karl V. nach seiner Abdankung zurückgezogen, und Janellus war auf Vorschlag des Don Alonso Davalos, Marqués del Vasto, (wieder) als sein Uhrmachermeister nachYuste berufen worden. Am 9. August 1809 wurde das Kloster von den Franzosen in Brand gesteckt und völlig eingeäschert. 
    • Neuerliche Handschriftenfunde geben nunmehr der Vermutung Raum, daß sich die Planetenuhr des Janellus noch im 17. Jahrhundert in seinem Haus in Toledo befunden hat. Danach allerdings verliert sich jede Spur.
    Es scheint, daß der Rhetorik-Professor de Morales die von Janellus weiterentwickelte Planetenuhr (1800 [!] Zahnräder: Trau schau wem!) als eine wahre Antiquität von San Yuste (an)gesehen hat.

    Ein - fortgeschrittenes, wenngleich nicht aus 700 Zahnrädern bestehendes - Planetenwerk fertigte 1682 Johann van Ceulen in Haag im Auftrag von Christian Huyghens an. Huyghens hatte die von Ceulen benutzte Schwungregelung der Radunruhe durch eine Spiralfeder im Jahre 1674 erfunden. Das Uhrwerk im Rijksmuseum voor der Geschiedenis der Natuurwetenschappen in Leiden hat einen Durchmesser von etwa 64 cm - entsprechend den zwei Fuß des Janellus.

    Schon 1561 wurde die Große Planetenuhr = "Wilhelmsuhr" von Eberhard Baldewein unter der Mitwirkung des Uhrmachers Hans Bucher und des Goldschmieds Hermann Diepel fertiggestellt, die er nach Ideen von Andreas Schöner für den Landgrafen Wilhelm IV. (den Weisen) von Kassel entworfen hatte. Sie befindet sich heute in der Orangerie zu Kassel.

    Das Auftreten des Mathematikers und Astronomen Andreas Schöner schon vor 1561 in Kassel macht auch klar, daß die historische Nachricht, Gerhard Mercators jüngster Sohn Rumold habe den Landgrafen Wilhelm in Trigonometrie - unabdingbar für die Astronomie - unterrichtet, auf einer Verwechslung beruht. Wenn er den Landgrafen in den Siebzigern unterrichtet haben sollte (Averdunk/Müller S.153), wäre er kaum 30 Jahre alt gewesen und hätte den Mitvierziger Wilhelm in  "allerlei Wissenschaften" unterrichtet, von denen Wilhelm schon weit vorher vieles gewußt haben muß: Immerhin ließ Wilhelm schon vor 1572 einen Azimutalquadranten für seine Kasseler Sternwarte bauen.



    Königin
    Ob die "Königin", d.i. die Statthalterin der Niederlande, Maria von Ungarn (1508-1558), die nach dem Todes ihres Gatten 1526 von ihrem Bruder Karl mit der Statthalterschaft der Niederlande betraut worden war,  sich wohl während der Audienz erinnerte, daß nun in allen Ehren derselbe "meester Gheert" vom Kaiser geladen worden war und gehört wurde, den sie im Winter 1543/44 inquisitorisch und hochnotpeinlich hatte verfolgen lassen? "Meister Gerhard" wird bestimmt daran gedacht haben; aber selbst jetzt schweigt er sich über die Zeit seiner Haft von Februar 1544 bis etwa September 1544 aus, - hätte er sich doch bestimmt durch eine Erwähnung der statthalterlichen Verfolgung bei seinem Briefadressaten einschmeicheln können. 

    redarguebat 
    Sowohl der Übersetzer des Briefes, P.H.Meurer, als auch J.Milz favorisieren die (?übliche)Übersetzung: red-arguo : widersprechen (mehr verteidigungsweise und zwar so, daß es sich um die Aufdeckung der Unwahrheit handelt), der Lüge zeihen (Heinichen, Georges I.Bedeutung). In dieser Bedeutung kommt redarguere immer wieder einmal bei Cicero vor: redargue me, si mentior. D.h.  redarguere kommt hierbei nahezu einem recuso (von re und causa) gleich. 
    In diesem Sinne z.B. benutzt Gerhard Mercator redarguit in der MediationI.II.2 1595.
    Dennoch: fast einem co-arguo in I.Bedeutung  gleichend - so von Cicero benutzt - gewinnt es die II.Bedeutung {B} von "unumstößlich dartun", zumal in Verbindung mit dem (hier:) acc. oder infin. Die aus dem Sprachgefühl Gerhard Mercators herrührende Distanz verb-acc. und die Umstellung des acc. ändern nichts an dieser Funktion des redarguo
    Georges verweist auf die Noctes Atticae des Grammatikers A.Gellius: ausweislich der zitierten Autoren in der Chronologie kannte Gerhard Mercator unseren Grammatiker. (Z.B.:)
    Noctes Atticae XV:IX:7: "Atque ego his eius uerbis, ut tum ferebat aetas, inritatior: 'audi', inquam, 'mi magister, rationem falsam quidem, sed quam redarguere falsam esse tu non queas.'"
    Darüberhinaus:
    Anders läßt sich Stelle schwerlich aufhellen, geschweige denn verstehen.


    Flämisch
    Unter den Büchern historischen Inhalts der Familie Mercator befanden sich 1604 noch 31 Werke italienischer Zunge, unter denen mathematischen Genres 8, unter den Sonstigen immerhin noch 3 - wenngleich die meisten aus Auflagen nach 1554 stammten..


    Beständigkeit
    Die Deklination der Sonne verändert sich in ihrem "kontinuierlichen" - beständigen - Auf- und Absteigen in der Ekliptik so langsam, daß eigentlich erst nach ein paar Tagen eine Differenz in der Kulminationshöhe wie -zeit zu beobachten ist. Das ist zwar von Jahr zu Jahr unterschiedlich, aber für ein "Beispiel"jahr gilt, daß pro Tag die Höhe (Deklination) um rund 30,7 ' zu- oder abnimmt, - was mit dem Gnomon aber nur schwer feststellbar ist. 
    Das ihm bekannte Verfahren war offenbar für Janellus Veranlassung, dem Kaiser die alte "Indische Methode" der Mittagslinienbestimmung vorzuführen: 
     
    Das "Indische Verfahren" war schon den römischen Agrimensoren bekannt: Man stellte z.B. einen Schattenstab der Länge a, der in eine Spitze auslief, senkrecht auf eine waagerechte Platte und beschrieb um den Fußpunkt einen Kreis mit dem Radius 2a. Bestimmte man nun mit den beiden "gleichartigen = gleichlangen" Schatten die Punkte, die auf dem Kreis lagen, so war das Lot auf die von ihnen bestimmte Sehne die Meridianlinie. Die minimale - "stetige" - Deklinationsänderung der Sonne am einem Tag behindert dabei die Feststellung nur wenig. 
    Vgl. Zinner [Instrumente] 213
    In Dürers Underweysung der messung, mit dem zirckel und richtscheyt, in Linien ebnen unnd gantzen corporen, durch Albrecht Dürer zusamen getzogen, und zu nutz allen kunstlieb habenden mit zu gehörigen figuren, in truck gebracht, im jar 1525, Nürnberg zeigt Figur 20 wie man's macht, die Mittelsenkrechte=Mittagslinie zu de zu konstruieren.
    Da die Deklinationsänderung beim Mond anders ist,
    • die Kulminationszeiten des Mondes ändern sich von Tag zu Tag fast um eine Stunde
    • in knapp vier Minuten bewegt sich der Mond um einen Monddurchmesser weiter
    war die im 16.Jahrhundert vielfach geübte Methode, die Ortslänge mithilfe von Monddistanzenmessungen und Ephemeriden zu bestimmen, für Gerhard Mercator suspekt; er lehnte die Arbeit mit dem Mond rundweg ab. 


    mein Verfahren
    "Sein Verfahren" beschreibt Gerhard Mercator ausführlich in seiner Handreichung für den Kaiser, der Declaratio insigniorum utilitatum, unter der Überschrift De meridiana linea invenienda, Wie man die Mittagslinie bestimmt. Es entspricht vollkommen dem damals hundert Jahre alten Verfahren der "konjugierten Höhen" (vgl.w.u.), einer Verallgemeinerung des Indischen Verfahrens. In der declaratio bespricht er das Verfahren sowohl für den Doppelglobus als auch für den annulus astronomicus.
    Die folgende Skizze gibt einen Überblick über die Zusammenhänge für ein "beliebiges" nicht-zirkumpolares / zirkumpolares Gestirn bezogen auf das Äquatorsystem.
    Der Globus sei auf die bekannte Breite Ð(NP-B-N) eingestellt: 
    (I) Im Falle eines nicht-zirkumploaren Gestirns halbiert die Meridianebene die Strecke AU bzw. den Winkel ABU
    (II) Im Falle eines zirkumpolaren Gestirns schneidet der Meridian 
      • die Bahn in einer oK bzw. uK: Die Meridianebene halbiert die Strecke vom Ostpunkt. OP zum Westpunkt WP,
      • d.h. sie halbiert den Winkel OPBWP.


    Die Messung der Höhen hoK und huK hatte Johannes Werner (1468-1528) in seinen Joannis Verneris Nurembergensis recens interpretamentum in primum librum Geographicae Cl. Ptolemaei schon dazu benutzt, durch Mittelwertbildung die Breite des Beobachtungsortes zu ermitteln: Es war ja längst bekannt, daß die geographische Breite j mit der Polhöhe hNP übereinstimmt: 

    Quod facile explorabimus per ipsius altitudinem, quae si maxima fuerit velut in puncto c [=oK] aut minima velut in puncto k [=uK] perspicuum erit igitur enandem stellem meridianum possidere.


    .
    Das Verfahren der "konjugierten Höhen" könnte Gerhard Mercator ebenfalls bei Johannes Werner bzw. bei Johannes Regiomontan kennengelernt haben:
     
    Man vermißt ein beliebig aufsteigendes Gestirn G im Horizontalsystem, in dem man einen beliebigen - aber festen - Vertikal als "Null-Vertikal" festgelegt hat, nach Azimut und Höhe: (a1 | h). Wenn das Gestirn absteigt und wiederum in der Höhe h beobachtet wird, mißt man das gehörige Azimut a2: (a2 | h).
    Die Nord-Süd-Richtung ist dann durch das Azimut (a1 + a2) / 2 bezüglich des gwählten Null-Vertikals gegeben.

    Gerhard Mercator beschreibt in der declaratio die Bestimmung des Ortsmeridians mit Hilfe zweier Höhenmessungen der Sonne: In einer morgendlichen ("östlichen") und in einer betreffenden nachmittäglichen ("westlichen") Messung suche man denselben "Sonnengrad" - dieselbe Sonnenhöhe - mit Hilfe des Globen-Gnomons auf. Die Mitte zwischen beiden Azimuten  liefert den Meridian. 

    Kontrolle: 
    Im Meridian verschwindet der Globen-GnomonSchatten. 

    Daß sich in Laufe eines Tages die Deklination - und damit die Höhe - der Sonne ändert - , wird bei diesem Verfahren nicht berücksichtigt; allerdings können diese Änderungen auch ohne weiteres vernachlässigt werden. Für eine auf Düsseldorf bezogene Ephemeride für den 10 Juni 2003 gilt zum Beispiel:

    Etwa (!) gleiche Höhe: 35°56' | 35°49'
    Azimuth (9Uhr38) = 98°52'
    Azimuth (17Uhr38) = 261°12'
    D = 162°20' D / 2 = 81°10'
    Azimuth (Mittag) = 98°52' + 81°10' = 180°2' = 261°13' - 81°10' = 180°3'

    Falls Gerhard Mercator - was aber nicht aus der Anweisung in der declaratio hervorgeht - mit Morgen- und Abendweiten von Gestirnen - hier: der Sonne - rechnen möchte, stellt sich die Frage, ob er sich im Klaren darüber war, daß diese Messungen durch drei Umstände wesentlich verfälscht werden können:

      • Durch Extinktion = Lichtverluste beim Durchgang des Sternenlichtes durch die Atmossphäre - damals wohl noch unbegriffen , 
      • durch Refraktion = Brechung / Ablenkung des Sternenlichts durch die Erdatmossphäre - damals durchaus schon bekannt, aber die Strahlengesetze (Snellius) ließen noch auf sich warten.
        • Heute rechnet man am Horizont mit einer Ablenkung von fast 35'.
        Ein schönes - gewissermaßen "irdisches"  - Beispiel findet man im capitulo primeiro des Tratado da sphera des Pedro Nunes aus 1537
    • durch die Horizontparallaxe, weil der wahre Horizont verschieden vom scheinbaren (des Beobachters) ist?

    • Das Parallaxenproblem war dem Zeitalter bekannt, seit Ptolemäus bei Mondmessungen - hier ist die Parallaxe nicht vernachlässigbar - von ihr gesprochen hatte, von der Messung des Parallaxenwinkels i.a. - d.h. bezüglich der Fix- und Wandelsterne - aber konnte noch lange Zeit keine Rede sein..
      Für den Mond kann die Parallaxe größer als 1° werden, für die Venus aber z.B.maximal 43'' und bei der Sonne gar nur etwa 8'' (Sekunden!).

      William Bourne widmete der Paralax in der zweiten Auflage - offenbar auf Wunsch einiger Leser seiner ersten Auflage - seines Regiment for the Sea die folgenden Zeilen:

      "Paralax what it is
      Paralax is, when that the Moone or the two Planets Venus oder Mercurie, are in conjunction or neer any star, by the meanes of the Diameter or thickness, that the superficies is from the Center of the earth, and the nearnes of them vnto the earth, that so accordingly, that in some parts of the Skyes it shall seeme nearer or farther vnto those starres then in some parts, which reason groweth by the Simidiameter of the earth, for that you are not in the Center, when you do behold it."



    zu verschaffen
    Der wesentliche Gehalt des Briefes scheint für Gerhard Mercator also darin zu liegen, daß er sich mit seinem Besuch in Brüssel persönliche Informationen über den Zustand des Kaisers im Jahre 1554 verschafft hat, - und diese boni consule an Melanchthon weitergeben wollte. Alles andere liefert nur die causa des Besuchs. 

    Bislang kann über einen "Schriftwechsel Mercator-Melanchthon" nur spekuliert werden; die von Melanchthons Schwiegersohn nicht mitgeteilten Einleitungs- und Ausleitungsfloskeln des Briefes waren offensichtlich von herkömmlich-humanistisch(-übertreibend)er Art, so daß ihr Fehlen sicher nicht auf eine besondere Vertrautheit im Umgang miteinander schließen läßt. 

    Die Heidelberger Regesten von 1993 geben auch nicht mehr her. 
    Die Regesten "Melanchthons Briefwechsel", Band 7, 7265, enthalten eine kurze Inhaltsangabe des Briefes Gerhard Mercators vom 23.August 1554 an Melanchton [S.224]: 

    /1/* Ende April 1554 war Merc.[ator] zum Kaiser nach Brüssel bestellt worden, denn er fertigte in dessen Auftrag einen Erdglobus zum Einbau in einen Himmelsglobus, dessen Uhrwerk Janellus /=Giovanni Torriani/ aus Mailand mitbrachte. 
    /2/* Am 3. Mai wurden Janellus und Merc.[ator] in Gegenwart der Königin /Maria/ vom Kaiser, der laut /Johannes/ Campanus nur noch als präparierte Leiche existieren soll [?], empfangen. Die Unterredung wurde auf Italienisch und Flämisch geführt; man sprach über /Peter/ Apian, über die Arbeiten des Janellus und über die Berechnung des Meridians. 
    /3/ Die Intelligenz des Kaisers und sein körperliches Befinden.

    J.Voigt: Mittheilungen aus der Correspondenz des Herzogs Albrecht von Preußen mit Martin Luther, Philipp Melanchthon und Georg Sabinus (1841) 63f. Anm., auch in Preußisches Provinzial-Kirchenblatt 3 /1841) 70f Anm. [H 1765] (Z.1: Rupelmondanus; Melanchthoni; Z.2 sum: fui; Z.14: referebantur).

    */1/ Es liegt offenbar ein Interpretationfehler vor: die Planetenuhr des Janellus soll ein 'Himmelsglobus' sein, in den ein von Gerhard Mercator gefertigter Erdglobus eingebaut werden soll? Der Regestenschreiber kennt die declaratio offenbar nicht.
    */2/ Über die "Berechnung" des 'Meridians' verlautet im Briefe nichts; es wird über die Bestimmung eines (jeweiligen) Ortsmeridians gesprochen.