Duisburg 1552 - 1594
Der Passauer Vertrag ist das Ergebnis von Beratungen von neun Reichsfürsten und elf Gesandten von Reichsfürsten, die sich vom 22.Mai bis 2. August in Passau zusammengefunden hatten. Bekanntlich machte dieser Vertrag nicht nur die Erfolge Karls V. im Schmalkaldischen Krieg zunichte, er setzte auch Johann Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen wieder in Freiheit und hob das Augsburger Interim von 1548 auf. Ob die damit in den deutschen Landen offenbar werdende Duldung des protestantischen Christentums auch Gerhard Mercator, seine Familie und Werkstatt nach Duisburg geführt hat - wie oftmals gemutmaßt wird -, ist schon deshalb ausgeschlossen, weil die Familie schon im März 1552 in Duisburg angekommen ist. Ob eine kommende alma mater in Duisburg ihn lockte, - wir wissen es bis heute nicht.Andreas Masius, der von 1551 an u.a. die Pläne Wilhelms des Reichen von Jülich-Kleve-Berg in Rom für die Gründung einer klevischen Universität zu betreiben hatte, ?mag Gerhard Mercator einen betreffenden Wink nach Löwen geschickt haben, wo dieser so lebte, wie Erasmus von Rotterdam in seiner Auseinandersetzung mit Luther - über den freien Willen - seinen Standpunkt beschrieben hatte: Ich wollte immer ein einzelner sein und hasse nichts mehr als eingeschworene Anhänger und Parteigänger. Es ist zwar unwahrscheinlich, daß Gerhard Mercator gehofft haben mag, in Duisburg, einem Landstädtchen von damals kaum 3000 Einwohnern, an die noch zu gründende Universität berufen zu werden - der Landesherr hätte sich über das Fehlen akademischer Würden hinwegsetzen müssen - , aber anders als in Löwen konnte er sich sicher sein, für sich und seine Familie eine angesehenere Position in der noch nicht akademisch durchwucherten ständisch-städtisch-bestimmten Kleinstadt gewinnen zu können. Es mag auch sein, daß den in religiösen Fragen auf erasmische
Weise den Ausgleich und den Frieden zwischen den Bekenntnissen suchenden
Gerhard
Mercator etwas nach Duisburg geführt hat, was er 1569
in der Legende Felices patriae, Glückliche
Länder, seiner Weltkarte mit den Worten umschrieben hat: Es
fürchtet der Bürger, wenn er mit solcher Lenkung [wie
er sie zu diesem Zeitpunkt in Duisburg durch Wilhelm V. (den Reichen)
erfahren hatte] regiert wird, keine Nachteile, keine
schrecklichen Kriege, keinen wüsten Hunger; die Ansatzpunkte für
die unwürdigen Denunzianten sind abgeschnitten. Frömmigkeit und
ihre reizende Schwester, der Frieden, beseitigen jedes üble Verbrechen
oder decken es auf; die unschuldige Menge allein erhält Lob, und allein
denen werden Ehren zugestanden, die ihre Gabe auf das Gemeinwohl ausrichten.
Fürwahr: vergleichbar den erasmische Gedanken der Klage
des Friedens von 1516.
[Eine Rekonstruktion dieser Gerätschaften im Anschluß an die declaratio werde ich in Kürze veröffentlichen.]
Abraham Ortelius, den Gerhard Mercator 1554 auf der Frankfurter Messe freundschaftlich kennenlernte, knüpfte 1570 an diese und die beiden nächsten Karten - der Karte der Britischen Inseln, 1564,
Den Unterricht des Vaters besuchte auch Bartholomäus, der zweite Sohn, der nicht nur den Unterricht vom Vater zeitweilig übernahm, weil dieser durch Feldvermessertätigkeiten oft verhindert war, sondern der auch die astronomisch-kosmographischen Vorträge des Vaters zum Zwecke seines eigenen Unterrichts redigierte und im März 1563 als Breves in Sphaeram, als Kompendium über die Kugel in Köln herausgab. In diesem Kompendium kündigte sich in einem kurzen Bericht über die Weltschöpfung an, daß Gerhard Mercator intensiv an einer - seiner! - Kosmographie arbeitete. Er plante damals schon eine mehrbändige Kosmographie, deren !letztes Buch er 1569 als erstes: Chronologie, das ist eine höchst genaue Darstellung der Zeitläufte von der Erschaffung der Welt an bis zum Jahre 1568, herausgab, das nicht nur seinen trefflichen Sinn für vergleichende Geschichte - an astronomischen Daten orientiert - , sondern zugleich seine erstaunliche Belesenheit und sein außerordentliches Bildungsstreben dokumentierte: Als die Bibliothek der Familie Mercator 1604 versteigert wurde, enthielt sie wenigstens 193 theologische, 479 historische, 220 mathematische, 33 medizinische und 103 sonstige Bücher - vorwiegend philosophischen Inhalts. In der Redaktion "letzter Hand" stellt die Weltchronik die III.Abteilung seiner Kosmographie dar; 1596 geriet sie mit wenigen Passagen in den Römischen Index der Verbotenen Bücher. |
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Im August des gleichen Jahres (1569) veröffentlichte er die großformatige (212 cm x 134 cm) Neue erweiterte Beschreibung des Erdkreises, besser an die Bedürfnisse der Seeleute angepaßt, mit der er sich einen Platz unter den Unsterblichen dieser Welt verschaffte. Mit der Karte ad usum navigantium war es Gerhard Mercator gelungen, die Loxodromenbüschel seiner Weltkugel von 1541 so in die plane Ebene zu übertragen, daß aus den doppeltgekrümmten Kursgleichen der Kugel gerade Linien der Kartenebene wurden. Er leistete dies mit einer einfachen, außerordentlich präzisen geometrischen Konstruktion, die sich ausschließlich der elementaren Ähnlichkeitslehre des 6. Buches der Elemente des Euklid bedient. Seine Konstruktion war dabei so genau, daß eine Rekonstruktion der 1°-Breitendifferenzen von 66°S bis 79°N auf dem 350. Längengrad (10°W) mit den Mitteln der heutigen loxodromischen Trigonometrie den in Basel in bestem Zustand erhaltenen Originaldruck nur um maximal 6% übertrifft. |
In zwei Legenden dieser Karte zeigte Gerhard Mercator auch die
so dringend erwünschten Lösungen der nautischen Hauptaufgaben
an, - aber selbst John Dee, inzwischen navigatorischer Berater
der Londener Muscovy Company, verstand noch 1570
die glänzende Konstruktion seines
ehemaligen Löwener Gesprächspartners nicht; und 25 Jahre
später mußte Gerhard Mercator resignierend feststellen,
daß niemand seine Konstruktion und erst recht sein Anliegen verstanden
hatte, eine Weltkarte ad usum navigantium,
d.h. als Seekarte zu entwerfen. Von dem nach
1590
gelungenen Paradigmenwechsel
der englischen Mathematiker in der "Navigationskunst",
der im Übergang von der Konstruktion zur Rechnung bestand - und erst
bei Leibniz weitere hundert Jahre später seinen Abschluß
fand - , hat er nichts mehr gehört.
Erst recht hat er nichts gehört von der genialen Leistung seines Londoner Freundes Dee, dem es schon 1556/57 gelang, die Abbildung Dl ® Dj zu berechnen. Die Geschichte der "Meridionalteile", die eigentlich mit Dee's Paradoxall compass aus dem Jahre 1557 beginnen müßte, knüpft mit Edward Wright rund 40 Jahre später an dessen Berechnung der Umkehrabbildung Dj ® Dl an.
Dieses erasmische Denken aus der Gutheit der Schöpfung und ihrer
Wiedergeburt in Christus, dem er das 1.Buch der I.Abteilung seiner
Kosmographie unter dem Titel Kosmographische Gedanken
über die Erschaffung der Welt widmete (1593),
veranschaulichte Gerhard Mercator schon 1573
in einem naturmetaphysischen Weltsymbol, das er einem Brief an Johannes
Vivianus aus Valenciennes beifügte (Rekonstruktion und Abschluß
1996 von mir).
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In der Mitten der Welt schuf Gott im Anfang
aus dem Nichts die chaotische erste Materie, aus der nach Gottes Plan alles
in der Ordnung des Unten, des Elementarischen, und des Oben, des Himmlischen,
herausfließt.
Die Erde versammelte sich der Schwere zufolge in der ruhenden Mitte der
Welt, umgeben von den Sphären des Mondes und der allesbelebenden Sonne
- diese umgeben mit den Sphären ihrer Trabanten Merkur und Venus -
wie den Sphären von Mars, Jupiter und Saturn. Letztere bilden für
Gerhard
Mercator das planetarische Äquivalent für den durch die Dreiheit
von Wollen (Mars), Fühlen (Jupiter) und Denken (Saturn) nach der Lehre
des hl. Augustinus und der Kabbala strukturierten Geist.
Dem Herausfließen aller Dinge aus dem Chaos entspricht - umgekehrt - der Einfluß, den das Himmlische auf das Irdische nimmt. In der heiligen Philosophie der Pythagoreer symbolisiert der Buchstabe des Pythagoras, das Y, das Zusammenfließen des Himmlischen und des Irdischen in éine substantielle Einheit - dargestellt mit Hilfe des Korridors vom Feuerhimmel zur Welt des Elementaren. Der Sonnenmetaphysik der Antike wie der Väterzeit entsprechend, die mindestens seit Cicero und Vitruv mit der Umkreisung der Sonne durch Merkur und Venus einhergeht, setzt er die Sonne in die Mitte der planetarischen Welt, wie das Herz im Menschen ein wenig höher als den wahren Nabel des Weltalls, die Erde. Die Ansichten des Nicolaus Copernicus hat er zwar zur Kenntnis genommen, keineswegs aber akzeptiert - und mit den ihm nicht bekannt gewordenen (späteren) astronomischen Ansichten Tycho Brahes hat sein metaphysisches Weltsymbol nichts zu tun. In diesen Jahren arbeitete er intensiv an den Karten der Geographie
des Ptolemäus, die er "im Sinne des Autors
wiederhergestellt und verbessert" im Jahre 1578
herausbrachte. Das Echo auf diese Veröffentlichung führte 1584
zu einer erneuten Herausgabe des Kartenteils, nunmehr aber mit den acht
Büchern der Geographie des Ptolemäus (nach Willibald
Pirckheimer) verbunden. Obgleich schon 1567
die älteste Tochter
Emerantia und 1568
der zweite Sohn Bartholomäusverstorben waren, und Gerhard
Mercator inmitten einer starken Schaffensperiode
1586
seine Frau Barbara und
1587
seinen ältesten Sohn Arnold verlor, zerbrach er in seiner christlichen
Demut nicht an diesem Schicksal: in ungebrochener Schaffenskraft
und in schneller Folge publizierte er 1585
die erste Teillieferung seiner Karten der "neueren
Geographie": 16 Karten von Frankreich, 9 von den Niederlanden und
26 von Deutschland, und 1589 die zweite
mit 16 Karten von Italien, 2 vom Balkan und 4 von Griechenland.
Hier und auch in einem seiner letzten großen Briefe an den Prediger
Wolfgang
Haller aus Zürich vom 31.August 1592
- 1590 hatte er einen ersten, heftigen
Schlaganfall erlitten - stoßen wir wieder auf die Unterscheidungen
des Weltsymbols: ein anderes ist die lebenspendende Seele (spiritus),
ein anderes die Gott-ähnlich-machende unsterbliche Seele (mens).
Kurz zuvor hatte er Haller eine ?eigenhändige Abschrift seines
210 Seiten umfassenden Römer-Brief-Kommentars
geschickt, mit dem er - erasmianische Gedanken der Vermittlung zwischen
den Bekenntnissen vertretend - wohl auch der in Zürich wie in Duisburg
praktizierten kalvinschen Lehre von der Vorsehung widersprechen wollte.
Die entscheidenden Aussagen
Gerhard Mercators zur Lehre von der Ebenbildlichkeit (Imago
Dei) aber finden wir in seinen
Kosmographischen
Gedanken I.II.17 - in einem
Kapitel, das
Angesichts der Krankheit Gerhard Mercators arbeitete die "Kartographische Anstalt Mercator" mit Hochdruck an der dritten Lieferung der Karten der neuen Geographie. Als Gerhard Mercator ganz ruhig im Herrn kurz nach 11 Uhr vormittags am 2. Dezember 1594, als er 82 Jahre, 37 Wochen und 6 Stunden gelebt und Urenkel gesehen hatte, entschlief, hatten sein jüngster Sohn Rumold und seine Enkel den dritten Teil in einem nahezu abschließenden Umfang fertigestellt: Die Karten vom Nordpol (1), von Island (1), von den Britischen Inseln (16), von Skandinavien (1), von Dänemark (4) und von Osteuropa (6) hatte Gerhard Mercator noch selbst zuende gebracht, Rumold steuerte seine Weltkarte von 1587 sowie eine Europakarte bei, die Söhne Arnolds aber stachen die letzten drei Erdteilkarten nach der Weltkarte von 1569; einige wenige regionale Karten fehlten noch. Kaum ein halbes Jahr nach dem Tod des Vaters faßte Rumold alle Lieferungen der neuen Geographie mit insgesamt 107 Karten zum "Atlantis Pars altera", zum zweiten Teil des Atlas zusammen. Den ersten Teil des Sammelwerkes stellte er aus einem Vorwort zum Atlas, einer Genealogie der Atlantiden |
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und den Kosmographischen Gedanken zusammen,
vorgebunden die Lebensbeschreibung des Walter Ghim
nebst zwei Briefen, etlichen Nachrufen und der Widmung an die klevischen
Herzöge
Wilhelm und Johann Wilhelm.
Das Album titelte Rumold - damit keineswegs die Absichten des Vaters treffend - als ATLAS sive cosmographicae meditationes de fabrica mundi et fabricati figura,Da die Kupferplatten der gesamten II.Abteilung der Kosmographie Gerhard Mercators (der "alten": II.1:1/2 wie der "neuen" Geographie: II.2:1/3) nach dem Tode Rumolds in den Besitz des Amsterdamer Kartographen und Verlegers Jodocus Hondius übergingen, trat der ATLAS Gerhard Mercators 1606 von Amsterdam aus mit immer wieder neuen und erweiterten Auflagen seinen Siegeszug in die Welt als Mercator-Hondius-Atlas an. 1633ff. wurden die Kosmographischen
Gedanken den Atlanten nicht mehr beigedruckt, und seit 1638
enthielten die Hondius-Atlanten weder originale
Mercator-Karten
noch im Titel den Namen Gerhard Mercators - allein der Typus - sein
Typus
- ATLAS - überdauerte die Zeiten.
Ohne Zweifel, denn zwei Motti beherrschten sein Leben, das eigene Motto:
"Nur das Hervorragendste ist das Beste der Welt"
Literatur Averdunk, H. und Müller-Reinhard, J.
Umfassendste Zusammenstellung bis 1994 in:
Duisburger Mercator-Studien 1-3,
Krücken, W. und Milz,J.:
Krücken, W.:
Gerhard Mercator:
Gerardus Mercator - Begleitband zur Ausstellung vom 4.9.1994
bis zum 31.1.1995,
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