Da das Wort "Atlas" - schon bei Gerhard Mercator selbst wie in seiner Familie, erst recht aber - in seiner heutigen Verwendung mehrdeutig ist, wollen wir die einzelnen Aspekte im Folgenden wohl unterscheiden:
In der Praefatio exzerpiert und übernimmt Gerhard Mercator die betreffenden Berichte des Eusebius Pamphilus aus dessen Praeparatio evangelica - d.s. die Fragmente des Philo Byblius (?200 Jh.n.Chr.) aus dessen Übersetzung des Sanchoniathon - und des Diodorus Siculus aus dessen Bibliothecae historiae libri.
In diesen Berichten kommen weniger - was man eigentlich erwartet - die unterschiedlichen Überlieferungen in der Gestalt der Theogenie = "Über die Abstammung der Götter" - also die griechische Mythologie - des Hesiod zum Tragen- den mythologischen Faden der Theogonie hat Eusebius in sein chronicon, sein von Hieronymus übersetztes und redigiertes Geschichtswerk aufgenommen -,als vielmehr der Erzählstrang6, der vornehmlich der Phönikischen Geschichte des Sanchoniathon folgt und spätestens seit Diodorus Siculus als Historie - als Real-Geschichte und keineswegs als Sagen-Geschichte - interpretiert und bewertet wird:
- Hesiod kennt nur den Titanensohn Atlas - Atlas senior -, den Bruder von Prometheus und Epimetheus (und Menoitios: dieser kommt nicht in allen Ableitungssträngen vor), deren Eltern Japetus - einer der Titanen - und Klymene sind:
THEOGONIE
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Atlas senior hatte auch sieben Töchter, welche, nach ihrem
Vater, Atlantiden, nach ihrer Mutter aber Pleiaden hießen.
. und Alkyone, Kelaino und Asterope, die hehre, Maia und auch Merope, sie zeugte der stattliche Atlas." Oder nach der Ableitung Hesiods:EHOIEN |
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Anders als in seinem chronicon
exzerpiert7
Eusebius in seiner Praeparatio
evangelica
I,7
die
Geschichte
der Phöniker des Sa[n]choniat[h]on.
Diesen Exzerpten wie den - aus der gleichen Quelle herrührenden - Berichten des Diodor folgt Gerhard Mercator: |
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Atlas, König von Mauretanien und in eine königliche
Familie hineingeboren, hatte Terrenus ( oder den 'Eingeborenen'
[Sohn des Elius] ) zum Vater - nach dem Zeugnis des Eusebius, ausgezogen
aus [den Berichten] altehrwürdiger Geschichtsschreiber.
Er führte auch den Beinamen Caelus ['der Himmlische']. Seine Mutter war Titea, auch 'Terra' genannt. Sein Großvater sowohl väterlicher- wie mütterlicherseits war Elius oder Sol, König Phönikiens, der mit seiner Gemahlin Beruth in Biblos residierte. Beide - Vater wie Großvater - waren in ausnehmender Weise bewandert sowohl in der Astronomie als auch in den Wissenschaften von der Natur, so daß sich schon von {der Höhe] ihrer Bildung [in diesen Dingen] her verstand, daß man ihnen die Namen 'Sol' (der Sonnenhafte) bzw. Caelus (der Himmlische) beilegte. Übrigens ist auch Atlas - wie von den Alten überliefert (vgl. Diodorus 4.Buch,5.Kapitel) - ein äußerst erfahrener Astronom gewesen und hat als Erster über die Himmelskugel gehandelt. &c [Atlas, der Enkel des Elius, Sohn des Caelus, hatte mehrere Söhne; u.a. Hesperus und Atlas. Letzterer wurde nach der Vertreibung seines Bruder Hesperus nach Etrurien im Jahre 738 nach der Sintflut (auch) König von Iberia (später: Spanien). Elius regierte übrigens 662 nach der Sintflut in Phönikien. &c S.w.u.] |
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Mit seinem Gewährleuten macht
Gerhard
Mercator den Atlas senior der Praeparatio
zum Bruder von Saturn = Kronos, Japetus und Hyperion.
Daß er ihn auch zum Bruder Dagons macht, zeigt wiederum die
Herkunft des Stammbaumes aus der phönikischen Geschichte an.
Wenn man die Erzählstränge nach Hesiod bzw. nach Philo / Eusebius / Diodor zusammenstellt, so erhält man etwa folgende "Misch"Darstellung: |
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Honoratus Maurus Servius (vor 422 n.Chr.) ist in der Lage, in seinen Kommentaren zu Virgil (Commentarii in Virgilium VIII) von drei Atlanten zu sprechen, von (a) einem mauretanischen [offenbar: Atlas senior]Servius bringt auch vor, daß ihre Eigenschaften und Schicksale schließlich und allesamt - nach Diodor - dem mauretanischen beigelegt worden sind, und daß selbst die Verknüpfung mit den Sagen des Perseus (Ovid: Metamorphosen IV) und.des Herkules zu entsprechenden Uminterpretationen geführt habe:
Ovid meint, Atlas habe den Perseus nicht deshalb
nicht beherbergt, weil er ein Hirte und höchst ungastlich gewesen
sei, sondern da Perseus aus dem Geschlechte Jupiters gewesen
sei, habe er ihn mit Gewalt abgewiesen, denn er wollte nicht die Prophezeiung
an sich vollziehen lassen, daß aus seinem Garten von einem aus Jupiters
Geschlecht die Goldenen Äpfel entführt würden. "Es
sollen hierbey seine Haare und sein Bart in Bäume, die Schultern in
die des Berges Gipfel, der Kopf in die größte Höhe, und
die Gebeine in die harten Felsen verwandelt worden seyn, alles aber nach
der Götter Verordnung einer viel ungemeinern Größe geworden
seyn, als es an sich erst gewesen."
Wenn Gerhard Mercator das chronicon bzw. die Theogonie gekannt haben sollte, so sind für ihn aber weder der Atlas, der da bei Strafe Jupiters den Himmel trägt, noch der Atlas, der in den Berg verwandelt worden ist, der seinen Namen trägt, und also den Himmel trägt - von Ovid oder schon früh von Polydius (er blühte um 420 v.Chr.) in seinen Dithyramben beschrieben - , Peronen der Geschichte = reale Historie. Beide sind ihm - mit Diodor / Pamphylus - Sagengestalten, selbst wenn der heilige Augustinus dem Zeugnis des chronicons folgt und Atlas - nennen wir ihn 'senior' - als rex mauretaniae den Bruder des Prometheus sein läßt: "Während Saphrus als vierzehnter König die Assyrer beherrschte, Orthopolis als zwölfter die Sykonier und Kriasus als fünfter die Argiver, ward in Ägypten Moses geboren, der Befreier des Volkes Gottes aus der ägyptischen Herrschaft, einer Prüfung, die dazu dienen sollte, das Verlangen nach der Hilfe des Schöpfers wachzurufen. Unter dem Regiment der genannten Könige hat nach Ansicht einiger Prometheus gelebt, von dem man wohl aus dem Grunde sagt, er habe die Menschen aus Lehm gebildet, weil er ein vorzüglicher Lehrer der Weisheit gewesen sein soll; doch kann man sonst keine Weisen damaliger Zeit ausfindig machen. Sein Bruder Atlas soll ein großer Astrologe [=Astronom] gewesen sein, und das mag der Fabeldichtung Anlaß zu der Behauptung gegeben haben, er trage das Himmelsgewölbe. Doch führt auch ein Berg seinen Namen, dessen Höhe wohl noch besser die Volksmeinung vom Tragen des Himmels erklärt."Indem Diodor die Fabeln der Alten als Fabeln zurückwies, vollzog sich die Geschichte nach dem Tode Hyperions zufolge Diodor / Mercator wie folgt: .
"Tum Coeli[=Terrenus=Uranos] filij, quorum nobiliores Atlas et Saturnus [=Kronos] erant, inter se partiti sunt regna patris, Atlanti loca iuxta Oceanum, et Lybiam usque et fretum Gaditanum contigerunt, ubi mons Atlas et gentes Atlantes ab eo dictae sunt in Mauretania." "Habuit Atlas plures filios, sed unum pietate ac in subditos iustistia humanitateque insignem, quem Hesperum appelavit, qui cum in Atlantis cacumen ad scrutandos astrorum cursus ascendisset, subito a ventis correptus, nequaquam amplius visus est. SIC DIODORUS ..." Gerhard Mercator kann dem nicht zustimmen: "sed ego ... regem in Iberia fuisse invenio", er hat herausgefunden, daß Hesperus König der iberischen Halbinsel gewesen ist: von günstigen Winden [von Mauretanien] nach Iberien geführt. Von 'Hesperus' schreibt sich übrigens auch - nach Mercator - der Name Spaniens her: Hispania / Iberia. Hesperus floh nach Etrurien (vertrieben von seinem Bruder) - man schrieb das Jahr 738 nach der Sintflut - , und Atlas (junior) übernahm nach dem Tode seines Bruders Hesperus (auch) dessen erzieherische Aufgaben und könglichen Geschäfte in der Toskana. Diesen Atlas - wie sein Bruder Hesperus von ausgezeichneter Erziehung, ausgestattet mit wahrem Menschentum und im Besitze wahrer Wissenschaft - hat sich Gerhard Mercator bei der Ausarbeitung seiner Kosmographie zum Vorbild genommen: "Hunc Atlantem tam insignem eruditione, humanitate ac sapientia virum mihi imitandum proposui." Ob er ihn aber auch als Erzähler oder Berichterstatter in sein Hauptwerk eingeführt hat, bleibt noch dahingestellt. Am 4. Juni 1593 schreibt Gerhard Mercator an Vivianus, daß er gedenke, Atlas - junior - in den ersten Band seiner Kosmographie einzubringen, um ihn über die Erschaffung der Welt, über die Astronomie, über die Astromantik, die Elemente und die Geographie handeln (spekulieren, abhandeln) zu lassen. |